EDITORIAL sicher wichtiger und sollten intensiver öffentlich diskutiert werden als die irritierende Unbedachtheit eines Minister- präsidenten. Noch etwas tut Not: Nicht nur die Klimaforscher, auch die Spezialisten aus dem Wasserbau prognostizieren, dass die extremen Niederschläge und die daraus resultierenden Fluten des Sommers 2021 keine Eintagsfliege bleiben. Sie fordern das „Bewusstsein, dass Hochwasserschutz keine von Zeit zu Zeit wiederkehrende Aufgabe ist, sondern in weiten Teil unseres Landes zur Daseinsvorsorge zählt“ (Prof. Holger Schüttrumpf, RWTH Aachen). SOLIDARITÄT Wie in der durch Covid ausgelösten Pandemie – gibt es die eigentlich noch?... so schnell verschieben sich Prioritäten – wie zur Zeit des Lockdowns im Jahr 2020, wieder staunten wir über uns selbst. Denn bei all dem Schrecken über das Ausmaß des Ereignisses, bei aller Trauer über die vielen Menschen, die gestorben sind, bei allem Mitgefühl mit denen, deren Existenzen weggespült wurden, gab es auch die Leute, die plötzlich neben den Betroffenen standen, die Schaufel in die Hand nahmen und Dreck schaufelten. Gab es die, die einen Topf Suppe vorbeibrachten oder denen Quartier boten, die plötzlich kein bewohnbares Zuhause mehr hatten. Nicht nur Freunde und Verwandte, auf die man doch immer zählen kann – Fremde, über Internet und Radio von weiter weg organisiert, halfen Hilfesuchenden unbürokratisch und mit offenen Händen, aus eigenem Antrieb. Das ist sichere Erkenntnis: Krisen wecken Gutes im Menschen – Hilfsbereitschaft, Mitleid, Tatendrang. Nicht aus Eigennutz und Berechnung, vielmehr selbstlos für die Bedürftigen. Viele Bilder zeigten diesen Zusammenhalt. Die erlebte Solidarität wird am Ende ein Gewinn für alle. GEORDNETE HILFE Es war auch nah an uns dran, nicht wahr? Wenn uns jährlich Bilder erreichen von der vom Monsun verursachten Zerstörung in Indien, von Hungersnöten in Afrika, von Erdbeben auf Tahiti oder von Waldbränden in Kanada, selbst jetzt aus Süd-Europa - wenn all das in die Wohnzimmer übermittelt wird, kapitulieren wir innerlich angesichts der unfassbaren Dimensionen des Leids und der übermächtigen Anzahl an betroffenen Menschen. Und diesmal? Nichts löst unsere Betroffenheit und damit die Hilfsbereitschaft so aus wie das Ereignis, dass quasi direkt neben uns passiert. Es liegt in der Natur des Menschen zu sagen: Das wird mich nicht treffen. Umgekehrt weckt die Vorstellung, das hätte ja auch mich treffen können, wohl so etwas wie einen Reflex, den Wunsch, helfen zu wollen. Unkontrollierte Hilfe aber macht wenig Sinn. Denn die große Spendenbereitschaft an Sachen und Material füllte schnell große Hallen am Nürburgring, erforderte aber auch viele Helfer nur für die Koordination. Aus eigenem Antrieb – ohne Ordnung – bereitgestellte Massen von Material verursachen erheblichen zusätzlichen Aufwand. Wäre es nicht sinnvoll, sofort zentrale staatliche Stellen als Anlaufstellen zur Verfügung zu stellen? Wäre es nicht besser, gezielt Anforderungen zu stellen, was wirklich gebraucht wird? Die Frage, wohin kann ich mich wenden, wenn ich Material oder auch Geld abgeben will, blieb bis zum Ende undurchsichtig. Für beide – Hilfesuchende und Hilfebietende – war es aufwendig, zusammenzukommen. Am Ende sprang der Rundfunk in die Bresche, die aus meiner Sicht in erster Linie Aufgabe staatlicher Organisation sein müsste. Und die Hilfewilligen dürfen nicht zur Behinderung werden. Als erstes sind einmal die Organisationen der Gefah- renabwehr am Zuge. Sie müssen die Gefahren beseitigen und Wege freiräumen. Erst nach deren Freigabe kann freiwillige Hilfsbereitschaft ohne Risiko und sinnvoll zum Einsatz kommen. Der zunächst abgesperrte Zugang führt unter Umständen dazu, dass Ansammlungen von Willigen zur Behinderung für anrückende Notdienste werden. Es schreit nach mehr Koordinierung und Organisation. So bat der DFV inständig alle Menschen, die gerne selbst helfen wollten – Feuerwehrangehörige wie Privatpersonen: „Bitte kommt passgenau entsprechend der Bedürfnisse, wartet offizielle Anforderungen ab. Unkoordinierte Hilfe belastet die Stellen vor Ort nur mehr – zum Beispiel durch Menschen in einem akuten Gefahrengebiet, die da gar nicht hingehören und gegebenenfalls evakuiert werden müssen.“ Wohlgemerkt, das galt auch für Feuerwehrangehörige: Hilfeleistung nur nach ausdrücklicher Anforderung, andere hatten an der „noch heißen“ Einsatzstelle nichts zu suchen! Ja, das Überbordende, die Spontanität weckt auch Argwohn und Skepsis. Was ist der wirkliche Grund für die Hilfs- bereitschaft? Argwohn, ob das Engagement wirklich arglos ist oder sich da welche hervortun wollen. Die Motivation wird hinterfragt. Skepsis, wer hat den langen Atem, der jetzt vonnöten ist? Ein Wochenende Dreck schaufeln, mag Abenteuer sein. Wer hilft aber noch, bis der gesamte Schutt beseitigt ist und die Häuser und Wege wieder her- gerichtet sind? Auch in der Pandemie gab es eine Woge von Hilfsbereitschaft … und doch versandete vieles, als sich die Lage in die Länge zog. Auch könnte man einwenden, dass alle akute Hilfe ein schwacher Trost für die Betroffenen ist. In der Folge stehen diese vor den immensen Kosten, die solch ein Szenario nach sich zieht. Wer kommt zu Hilfe, wenn die Versicherung nicht zahlt? Auch zugesagte Hilfsangebote des Staates müssen erst einmal bei den Menschen ankommen. Und: Wir reden stetig vom Materiellen, aber wer begleitet auf dem langen Weg der Trauer und Verarbeitung? Letzteres trifft besonders die Betroffenen, aber auch die Spontanhelfer haben Bilder gesehen, die es zu verarbeiten gilt. Das alles schmälert nicht den guten Gedanken, spricht nicht gegen spontane Hilfsbereitschaft; es muss nur rea- listisch damit umgegangen werden. Notlagen wecken den Drang, anderen uneigennützig und selbstlos helfen zu wollen. Der Drang flaut aber wieder ab. Es ist also ratsam, nicht zu hohe Erwartungen an die akute Hilfsaktion zu stellen. Vielmehr wäre endlich zu klären, wie man die Tatkraft und den gemeinschaftlichen Sinn länger verfügbar hält und steuert. 6